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Nachruf

W. Forssmann, Warmbach

Quelle: Jahrbuch der Universität Düsseldorf 1972/73. Sonderdruck nach dem Nachruf in der 222. Sitzung der Klasse für Natur-, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften am 6. Februar 1974, veröffentlicht in den Mitteilungen der Akademie 1974/III.

Am 30. August 1973 starb in Düsseldorf eines der bedeutendsten Mitglieder unserer Universität, Helmut Ruska.

Er wurde als jüngster Sohn des Naturwissenschafts-Historikers Julius Ruska am 7. Juni 1908 geboren. Dieser lehrte in Heidelberg, wo auch seine beiden Söhne Ernst und Helmut zur Welt kamen, Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften. Sein Fach verdankt ihm grundlegende Arbeiten über islamische und mittelalterliche Alchemie.

Wenn man heutzutage allzu leicht geneigt ist, die Bedeutung der biologischen und der kulturellen Herkunft für die Entwicklung eines heranwachsenden Menschen gering zu schätzen, so kann das Schicksal der beiden Brüder Ruska geradezu als Gegenbeweis gelten. Die geistig hochstehende Umgebung, in der sie aufwuchsen, förderte die Anlagen, die ihnen mitgegeben waren, und eine zielbewußte Erziehung weckte in ihnen den Fleiß und die Kritikfähigkeit, die allein die Früchte ihrer Talente zum Reifen bringen konnten.

Die eigenartige Verbindung von Orientalistik und Naturwissenschaften in der Person des Vaters prägte offensichtlich Wesen und Charakter der Söhne. So konnten sich die reichen Gaben, die Helmut Ruska für sein Leben mitbekam, voll und ungestört entwickeln und in einem weiten Bogen in gleichem Maße kühles wissenschaftliches Denken, gepaart mit schöpferischer Phantasie, und eine reiche musische Begabung überspannen.

Nicht nur die Wissenschaft, sondern durch ihre Vermittlung die ganze Menschheit hat in der Elektronenmikroskopie ein Geschenk von unschätzbarem Wert erhalten. Eine besondere Gunst des Schicksals war dabei sicher, daß die beiden Brüder Ernst Ruska und der anderthalb Jahre jüngere Helmut bei gleich hohen geistigen Fähigkeiten von sehr nahe beieinander liegenden, sich immer mehr deckenden Interessen erfüllt waren. Und das schon in früher Jugend.

Ernst Ruska berichtet in seinen “Erinnerungen an die Anfänge der Elektronenmikroskopie”, daß Helmut und er schon zeitig und sehr stark von optischen Geräten beeindruckt waren. Dazu mag ein Mikroskop im Arbeitszimmer des Vaters ebenso beigetragen haben wie Besuche in der Heidelberger Sternwarte, wo ihnen ihr Onkel Max Wolff die großen Fernrohre zeigte. In den eben genannten “Erinnerungen” schildert Ernst Ruska, wie sie sich, er schon zum Studium der Physik, Helmut zum medizinischen entschlossen, mit einem Schulfreund darüber klarzuwerden suchten, warum das Auflösungsvermögen und damit die Vergrößerungsmöglichkeiten des Lichtmikroskopes begrenzt sind. Schlagender können eigentlich die tiefgehenden Einflüsse des geistigen Raumes, in dem die beiden aufwuchsen, nicht bewiesen werden!

Über die Physik und die technische Entwicklung des Elektronenmikroskopes zu berichten, ginge hier zu weit und überstiege auch meine Zuständigkeit. Nur soviel: Es begann mit Ernst Ruskas Arbeiten über den Kathodenstrahloszillographen und die Entwicklung einer magnetischen Linse zur Zusammenfassung dieser Strahlen. Dabei stellte sich heraus, daß sich mit ihnen auch feine Strukturen in Durchstrahlung darstellen ließen. Und damit erhob sich die Hoffnung, mit diesen sehr kurzwelligen Strahlungen die magische Grenze der Lichtmikroskopie zu überwinden.

Ich erachte es für einen der glücklichsten Zufälle, daß die beiden Brüder Ruska in unerschütterlicher Harmonie und in gemeinsamer Arbeit uns von zwei verschiedenen Wissensgebieten her fast mit einem Schlage eine gänzlich neue, früher für unvorstellbar gehaltene Größendimension erschließen konnten.

Einer der wichtigsten Abschnitte in der Geschichte der medizinischen Forschung ist das Jahrhundert, in dem die beiden Holländer Z. Jansen und A. van Leeuwenhook das durchfallende Licht auszunutzen begannen, um kleine und dünne, dem unbewaffneten Auge nicht mehr zugängliche Objekte vergrößert sichtbar zu machen. Ihr Mikroskop erschloß eine neue Welt des Kleinen. Während dreier Jahrhunderte immer weiter vervollkommnet, wurde es zu einem unentbehrlichen Gerät. Als seine optischen Möglichkeiten infolge der Wellenlänge des für das menschliche Auge sichtbaren Lichtes fast erschöpft waren, schufen 1903 H. Siedentopf und R. Zsigmondy das Ultramikroskop, das entsprechend dem Prinzip der Sonnenstäubchen kleinste Körper anfeuchtet und sie zwar nicht darzustellen, aber doch sichtbar und zählbar zu machen vermag. Seine Anwendung in der Kolloidchemie brachte R. Zsigmondy 1925 den Nobelpreis für Chemie ein. Die allerletzte bedeutende Vervollkommnung der Lichtmikroskopie war dann das Phasenkontrastmikroskop des Holländers Frits Zernicke, für das er 1953 den Nobelpreis für Physik erhielt.

Hiermit waren die Entwicklungsmöglichkeiten der Lichtmikroskopie endgültig erschöpft. Die Darstellung kleinerer Objekte, etwa der Viren oder der Feinstrukturen der Bakterienzellen und vieles andere mehr blieb unerreichbar, lag doch ihre Größe weit unterhalb des Auflösungsvermögens der sichtbaren Lichtwellen. Wer in diese unbekannte und bislang fest verschlossene Welt des noch Kleineren vorstoßen wollte, mußte etwas ganz Neues suchen, etwas ganz anderes finden als den dem menschlichen Sehvermögen zugänglichen Wellenbereich des Lichtes. Nur die Korpuskularstrahlen mit ihren weit weit kürzeren Wellenlängen konnten der Forschung hier zum Durchbruch verhelfen. Dem menschlichen Auge nicht zugänglich, benötigen diese Strahlen den Umweg über den Leuchtschirm oder die Fotoemulsion, um das sichtbar und deutlich werden zu lassen, was uns die großen Wellenlängen des uns zugänglichen Spektrums verweigern.

Nur soviel über die physikalischen und technischen Arbeiten an der Entwicklung des Elektronenmikroskopes. Denn nach Beginn des Studiums gingen die Wege der beiden Brüder zunächst auseinander, um dann in eine unzerstörbare Parallele einzumünden. Der ältere Ernst widmete sich als Physiker und Techniker fast ausschließlich mit seinen inzwischen gewonnenen Mitarbeitern den konstruktiven Aufgaben, während der jüngere Helmut, von einer Leidenschaft für die Anwendung der neuen Geräte geradezu besessen, sich ihrer Nutzbarmachung für Medizin und Biologie widmete. Dabei warfen sich die beiden Brüder immer wieder die Bälle zu, so daß, wenn es heute auch nicht mehr aktenkundig zu machen ist, der Biologe dem Techniker manche Anregung aus seinen Wünschen heraus geben konnte und umgekehrt.

Nur soviel darüber, daß die Entwicklung keineswegs geradlinig und reibungslos sich vollzog, sondern daß zunächst erhebliche Widerstände zu überwinden waren. Selbstverständlich konnte das erste Versuchsmodell nicht mehr als die Durchführbarkeit einer Darstellung elektronendurchstrahlter Präparate beweisen, aber die Vergrößerung von allenfalls 150fach lag weit unter dem bisher von den Lichtmikroskopen Erreichten. Auch die Bildgüte enttäuschte wegen mannigfaltiger Mängel dieses ersten Versuchsmusters. So stießen diese ersten Versuche allem, was sie versprachen, zum Trotz zunächst auf mehr oder minder spöttische Ablehnung, auch in Kreisen der Physiker und Techniker. Ausgerechnet ein Kliniker erkannte klar die unvorstellbaren Möglichkeiten des Elektronenmikroskops. Es war der Internist Richard Siebeck, der Lehrer Helmut Ruskas. Dazu kam der Wagemut der Firma Siemens. Er wurde bald belohnt, denn schon nach wenigen Jahren konnte die erste Serie von Geräten mit 12 Ödfacher Vergrößerung in den Verkauf gehen. Das war zu der Zeit, als Helmut Ruska neben seiner klinischen Ausbildung ein Institut der Firma Siemens zur Betreuung ausländischer Wissenschaftler unterstellt wurde, das fast bis zum Kriegsschluß arbeitete. Bemerkenswert ist die Schnelligkeit, mit der sich die Elektronenmikroskopie trotz aller Widerstände und trotz des Krieges durchgesetzt hat, aber nicht verwunderlich. Befanden sich doch sämtliche morphologischen Fächer in der Biologie und nicht nur in der Humanmedizin in einer lähmenden Resignation, weil die Möglichkeiten der Lichtmikroskopie ausgeschöpft waren und ihre “Schallmauer” sich nicht durchbrechen ließ. Jetzt waren mit einem Male, fast über Nacht, die Pforten aufgesprengt.

Die Zukunftsträchtigkeit der Elektronenmikroskopie war deshalb so groß, weil die beiden Brüder Ruska ihren Vorstoß in die bisher völlig unvorstellbare Welt des Allerkleinsten taten, in den Bereich der “animalia minutissima”, von der noch niemand eine Vorstellung hatte. Aber, um in der Biologie einen neuen weiten Bezirk zu erschließen, bedarf es nicht nur eines neuen, den Weg öffnenden Gerätes, sondern auch neuer Methoden für die Bearbeitung der zu untersuchenden Objekte. Also auch hier absolut unbekanntes Neuland! Die bis an die Grenzen des Möglichen verfeinerten Schneideverfahren, die Färbungen, die Einbettungsmethoden der Lichtmikroskopie waren für die Elektronenmikroskopie nicht mehr brauchbar. Um nur einiges zu nennen: man mußte der Zerstörung der Präparate durch die Erhitzung im Elektronenstrahl Herr werden, um nicht nur verfälschte Kunstprodukte abzubilden Färbungen, wie in der Lichtmikroskopie üblich, sind im Reiche der monochromen Elektronenwellen wirkungslos. Das Elektronenmikroskop zeigt nur die Dichte der Materie. So mußte man, um die Kontraste zu betonen, die Feinstrukturen der Zellen durch Schwermetalle „färben”. Helmut Ruska begann dabei zunächst mit Osmiumtetroxyd, das uns ja als Fixationsmittel in der Lichtmikroskopie geläufig ist und dessen Schwermetallgehalt hier raffiniert, neben der Fixierwirkung, zur Kontrastierung ausgenutzt wurde.

Ein Problem jagte das andere, und jedes neue Untersuchungsobjekt stellte Helmut Ruska vor neue Aufgaben. Das war die Arbeit, die parallel zu der physikalisch-technischen seines Bruders Ernst lief und mit ihr abgestimmt werden mußte. Hier wurde Helmut Ruska zu dem großen Meister, der die Breite seiner Methoden auch mit dem ergänzte, was andere inzwischen erarbeiteten, und mit denen er bereitwillig und freundschaftlich seine Ideen austauschte. Ein Meister war er aber auch deshalb, weil er sich nie einfach mit der Lösung technischer Probleme begnügte, sondern sie mit seinem Geist erfüllte. Mit jedem Versuch erschloß er neue Erkenntnisse und deckte bis dahin noch unbekannte Lebensgesetze auf. Sein internationaler Ruf wuchs von Jahr zu Jahr. Er gehört zu den wenigen Deutschen, denen sofort nach dem Kriege auch von unseren Gegnern volle gerechte und gerechtfertigte Anerkennung widerfuhr.

Die großen zu überwindenden Schwierigkeiten der Präparation machen es verständlich, daß die ersten Veröffentlichungen Helmut Ruskas über das von ihm erschlossene Forschungsgebiet erst einer “Inkubationszeit” nach denen seines Bruders bedurften. Dann aber schöpfte er aus dem vollen.

Die Uranfänge der Elektronenmikroskopie ähneln denen der Lichtmikroskopie überraschend. Wie Leeuwenkook und seine Schüler begann Helmut Ruska das Abenteuer mit Objekten, gerade, wie sie die Natur ihm anbot: der Haut des Regenwurms, mit Pflanzenzellen usw. Die Gegenstände mußten nur dünn genug sein, um ohne schwierige Präparation bei der enormen Vergrößerung noch klare und deutbare Bilder zu liefern. Der nächste Schritt waren, ebenfalls wie bei der Lichtmikroskopie, Untersuchungen von Abstrichen von Sekreten und Punktaten sowie Kulturen in Abklatschpräparaten und Zupfpräparate einfacher Gewebe. Schon diese Phase war sehr fruchtbar, denn in ihr wurde deutlich, daß früher für homogen gehaltene Gebilde sehr deutliche und regelmäßige Strukturen besitzen. So fand er 1939 die Aufsplitterung der Spermatozoengeißel in Subfibrillen, 1940 die sehr regelmäßige Querstreifung bei den Fasern des Liquorfibrins und schloß daraus auf eine besondere und gesetzmäßige Anordnung der Aminosäuren. Im gleichen Jahre konnte er die bis dahin umstrittene Lamellenstruktur der Chloroplasten beweisen. Untersuchungen über die Zellmembran der roten Blutkörperchen wiesen auf die fundamentale Bedeutung dieses Zellorganes hin.

Im gleichen Zeitraum gelang ihm auch bei den Bakteriophagen nicht nur die erste einwandfreie Darstellung eines Virus, sondern auch die Klärung der Vermehrung der Viren, die keine echte Zellstruktur mehr haben. Hiermit habilitierte er sich 1942. Es folgten Untersuchungen am Tabakmosaikvirus und v.a.m. So erarbeitete Helmut Ruska eine neue systematische Einteilung dieser Krankheitserreger, die auch heute noch verbindlich ist.

Von ebenso grundlegender Bedeutung waren seine frühen Untersuchungen über den Feinaufbau der Bakterien. Damit waren wichtigste Tatsachen der Zellphysiologie zutage gekommen und moderne Vorstellungen über die Gene und auch die Wirkungsweise der Antikörper.

So war schon die Phase der Forschungen ohne Dünnschnittechniken außerordentlich fruchtbar und bildete die Grundlage einer neuen Zytologie. Dieses besondere Grundlagengebiet erblühte dann nach dem Kriege, als man mit den in Amerika und Schweden konstruierten Ultramikrotomen in die Lage versetzt wurde, nicht nur einzelne Zellen, sondern ganze Zellverbände, ganze Gewebsabschnitte zu beobachten. Das war auch mit den feinsten Schnitten in der Technik der Lichtmikroskopie nicht möglich. Denn unter dem Elektronenmikroskop waren sie an Dicke einem Zigarrenkistenbrettchen unter dem Lichtmikroskop vergleichbar. Während es bis dahin um Schnittdicken von wenigen Tausendstel mm ging, wurden jetzt solche von Hunderttausendsteln erreicht.

Von besonderem Interesse wurde nun der bisher völlig ungeahnte Aufbau der Zellmembranen, über die sich der Stoffaustausch und die Weitergabe von Reizen vollzieht. Und das ganz gleich, ob diese Membranen die Zelle nach außen abgrenzen oder ihre Organellen umhüllen. Wir hatten früher noch gelernt, daß die Zellmembranen passiv arbeitende Trennflächen im physikalischen Sinne sind, mit unterschiedlicher Durchlässigkeit für verschiedene Lösungen, die den Gesetzen der Filtration und des osmotischen Druckes unterworfen sind. Jetzt konnte nachgewiesen werden, daß diese lebenden Membranen, ganz gleich, ob als Abschluß der ganzen Zelle zu ihrer Umgebung oder von intrazellularen Organellen, selbst sehr aktive Organe sind, die sowohl der Überleitung von Reizen wie dem Stoffaustausch dienen. Erst diese aktive Tätigkeit konnte erklären, warum die Zellmembranen Aufgaben von einer Mannigfaltigkeit bewältigen, wie sie mit einer passiven Membrane unlösbar wären. Richtungweisend waren hier u. a. umfangreiche experimentelle Arbeiten über den Wasseraustausch von Darmzellen, die Helmut Ruska gemeinsam mit seiner Ehefrau Carla durchgeführt hat.

Die Elektronenmikroskopie in der Anwendung, wie sie durch Helmut Ruskas Einfluß in der ganzen Welt wirksam wurde, hat eine Renaissance der Medizin herbeigeführt. Die allmählich völlig voneinander entfremdeten morphologischen und funktionellen Fächer konnten wieder, genau wie im makroskopischen Bereich, zu einer Einheit zusammengeschweißt werden, eine Folge des neuen Geistes, die sich besonders befruchtend auswirkt.

In unseren Gesprächen bezog sich Helmut Ruska gern auf einen Ausspruch Rudolf Virchows, daß am Anfang jeder neuen Erkenntnis neue Entdeckungen in der Morphologie stünden. Nicht von ungefähr: denn, wer will sich anmaßen, eine Funktion zu verstehen, wenn er nicht die Gestalt der Körper kennt, an denen sie sich abspielt.

So reizvoll es auch wäre, über den ganzen weitgefächerten Arbeitsbereich von Helmut Ruska zu sprechen, muß ich mir das hier versagen. Eines aber darf nicht vergessen bleiben: Die Elektronenmikroskopie hat eine neue Epoche naturwissenschaftlicher Betrachtung eingeleitet. Das kann man allein schon daraus erkennen, daß viele der in den letzten Jahren mit dem Nobelpreis gekrönten Entdeckungen ohne die Anwendung des Elektronenmikroskopes kaum möglich gewesen wären.

Nach dem Kriege waren alle Arbeitsmöglichkeiten zerstört oder demontiert. 1947 begann Helmut Ruska bei der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin Buch am Institut für Medizin und Biologie eine Abteilung für Mikromorphologie neu aufzubauen. Die gleiche Aufgabe übernahm er 1949 am heutigen Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem. Sein internationales Ansehen war nun so groß und unanfechtbar, daß ihn ehrenvolle Einladungen in ein Ausland führten, das von uns Deutschen nichts wissen wollte. Von 1952 bis 1958 leitete er das “Department for Micromorphologya” am New York State Department of Health. Neben dieser Tätigkeit war er wissenschaftlicher Berater am “Sloan Kettering Institute of Cancer Research” und Mitarbeiter des “Colleges of Physicians and Surgeons” der Columbia University, New York. In diese Zeit fällt 1953 eine dreimonatige Gastprofessur in Butantan, Sao Paolo (Brasilien).

1958 folgte er einem Ruf an die Universität Düsseldorf als Direktor des Instituts für Biophysik und Elektronenmikroskopie.

In den Jahren 1967 bis 1968 war er Rektor der Universität Düsseldorf. Große Ehrungen fehlten ebensowenig wie Mitgliedschaften in den angesehensten wissenschaftlichen Gesellschaften. Ihre Krönung fanden sie in der Verleihung des Paul-Ehrlich-LudwigDarmstaedter-Preises im Jahre 1970.

Müssen wir um den Wissenschaftler Helmut Ruska trauern? Ich glaube: Nein! In uns allen wird der Stolz überwiegen, daß er zu uns gehört hat. Und bei der wirklichkeitsbetonten Art, in der er allem Natürlichen gegenüberstand, wäre Trauer um ihn auch nicht in seinem Sinne. Nur unsere Wehmut darüber, daß wir nun von ihm getrennt sind, würde er verzeihen. Zu ihm paßt auch nicht die abgenutzte Redensart: Wir werden ihn nie vergessen! Daß wir das gar nicht können und deshalb auch nicht zu erwähnen brauchen, dafür steht allein schon sein Werk. Es hat seinen Namen unauslöschlich in die Geschichte der Naturwissenschaften eingegraben.

Helmut Ruska hat uns, ein selten glücklicher Mensch, etwas nahezu Vollendetes zu treuen Händen übergeben. Nicht, daß er nicht noch voll neuer Vorstellungen gewesen wäre, voll neuer Pläne für die Zukunft. Es war im Sitzungssaal des Hauses der Wissenschaften, als ich zum letzten Male mit ihm sprach.

Begeistert schwärmte er von seinem Traum, der optischen Auflösung der Materie bis in atomare Bereiche. Und das, wenige Tage bevor er das Krankenhaus aufsuchte.

“Ich muß bald wieder in meinem Institut sein, es gibt ja noch so viel zu tun!” meinte er, wohl unbewußt ahnend, daß es unser aller menschliches Schicksal ist, niemals ganz das zu erreichen, was wir uns vornehmen. Aber das ganz Große, das Grundsätzliche war vollendet: die Erschließung einer neuen, bis dahin unvorstellbaren Dimension.

Nachdem diese grundsätzlichen Ideen geboren und Wirklichkeit geworden waren, königliche Ideen!, mußte ja noch viel zu tun übrig bleiben, mehr, als der einzelne zu bewältigen vermag.

Wenn Könige bauen, bekommen die Kärrner Arbeit. So kann man von Helmut Ruska ohne Übertreibung sagen:

“Exegit monumentum aere perennius.”

Alles, was wir heute auf diesem Gebiete planen und tun, ist das unzerstörbare Geschenk, das sein und seines Bruders Geist der ganzen Menschheit dargebracht hat, und für uns das Pfund, mit dem wir wuchern sollen zu Nutzen und Heil der Menschheit. Zu dem Glücksbewußtsein des Stolzes auf diesen uns zugehörigen Menschen gesellt sich jetzt beim Abschiednehmen eine unauslöschliche Dankbarkeit, nicht nur jetzt, sondern für alle Zukunft. Die Wehmut, deren wir uns in diesem Augenblick nicht erwehren können, gilt nicht dem Forscher, sie gilt dem liebenswürdigen und liebenswerten Menschen Helmut Ruska.

In seinem äußeren Auftreten war Helmut Ruska zurückhaltend und bescheiden. Manchem mag er sogar beim ersten Kennenlernen etwas farblos erschienen sein, aber wenn er sich einem in Freundschaft erschloß, wurde offenbar, welch eine Kraft in dieser begnadeten Persönlichkeit steckte, die in wundervoller Harmonie Duldsamkeit, Güte und Humor in sich vereinte.

Mit hingebender Liebe hing er an seiner Frau, die seine treueste Mitstreiterin war, und ihrer beider Sohn. Ich glaube, sein Tod war der einzige Schmerz, den er ihnen angetan hat. Es war immer ein Höhepunkt, mit diesen gastlichen Menschen in ihrem schönen Haus am Rhein zusammenzutreffen, wo Gespräche über Wissenschaft und Kunst, über seine Liebe zum Garten die Stunden nur zu schnell verrinnen ließen. Nur in einem Punkt war er hart und unnachgiebig: Wenn es um die Wahrheit ging. Um religiös im landläufigen Sinne zu sein, war er zu kritisch. Trotzdem stand als Leitsatz über seinem Leben das Wort aus dem Johannes-Evangelium 8, 32:

“Ihr werdet die Wahrheit erkennen,
und die Wahrheit wird euch freimachen!”